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Prolog

2. Kapitel - Anna

Anna bezahlte Ihren Kaffee und nahm den Pappbecher an sich. Eigentlich war sie kein Freund von überteuerten Dingen, wie eben diesen Kaffee. Doch wenn sie wie heute unter Zeitdruck stand, dann nahm sie auch einen überteuerten Kaffee bei Starbucks in Kauf. Irgendwie musste sie ja morgens in die Gänge kommen. Sie mochte das hektische Leben, das sie oft umgab, nicht sonderlich. Sie fragte sich manchmal wie es wohl noch vor Jahren war, als die Kommunikationstechnik den Menschen noch nicht so beherrschte und es an den Tankstellen noch Servicemitarbeiter gab, die einem mit einem Lächeln die Scheiben putzten und den Ölstand überprüften. „Das müssen auf alle Fälle ruhigere Zeiten gewesen sein“, dachte sie.

Manchmal überkam sie das Gefühl, dass der Mensch absichtlich in diese Hektik gedrängt wurde. So nach dem Motto: Hat der Mensch zu tun, dann beschäftigt er sich nicht mit anderen Dingen. Vor allem im beruflichen Leben ist, ihrer Meinung nach, immer mehr Hektik eingekehrt. Kein Wunder, wurde doch von jedem Einzelnen immer mehr abverlangt. Sie spürte dies am eigenen Leib. Da wo früher noch 3 Leute an Aufgaben gearbeitet hatten, da machte es jetzt nur noch eine Person und das zu längeren Arbeitszeiten, aber denselben oder gar schlechteren Konditionen. Auch sie war es gewohnt öfters mal länger zu arbeiten. Es war ein zweckmäßiges Übel, dem man nicht entkommen konnte. Man passte sich eben an. Evolution in der Arbeitswelt.

In der Marketingfirma, in der sie nun schon seit über 5 Jahren war, gab es im Laufe dieser Zeit immer wieder Veränderungen, die das Überleben der Firma sichern sollten. Es war wie bei so vielen Firmen mittlerweile. Da interessierte kein Schicksal eines einzelnen Menschen, wenn am Ende die Bilanz in den roten Zahlen stand. Sie wusste, dass dies eine allgemeine Entwicklung in der Arbeitswelt geworden war, auch wenn sie diese sehr schade fand. Viele Ihrer Freundinnen erlebten in den letzten Jahren ähnliches. Umstrukturierungen, Kündigungswellen und Neuformationen. Oft war man nur wie eine Kugel auf einer Rechenmaschine, die man einfach nur hin und her schob. In den meisten Fällen war man schon lange nicht mehr Mensch, wenn es um den wirtschaftlichen Erfolg, um das Überleben einer Firma ging. Wenn wieder einmal Finanzberater die Firma bewerteten, dann war man nur eine Zahl auf einem Papier. Nicht mehr und nicht weniger.

Der Tag heute war wieder einmal, wie schon so oft in letzter Zeit, einer der Tage an dem sie spät dran war. Eigentlich war sie keine von denen die morgens lange brauchten, um aus dem Bett zu kommen. Sie war eher eine von den Vorbildlichen. Der Wecker klingelt, Anna stand auf. Doch in den letzten Wochen hatte sich einiges verändert. Annas Schlaf war oft nicht mehr so durchgehend und tief wie sie es eigentlich gewohnt war. Oft wachte sie nach seltsamen Träumen mitten in der Nacht auf und das Wiedereinschlafen fiel ihr danach meist schwer. Seit der Nacht mit dem verwirrenden Traum und dem Dorn in Ihrer Hand hatte sich diese Problematik entwickelt. Manchmal hatte sie auch das Gefühl, dass sich ihre Träume seltsamer anfühlten als sonst. Doch einordnen oder gar erklären konnte sie dies alles nicht. Sie wusste nur, es hatte sich etwas verändert seit dieser Nacht.

Diese letzte Nacht war auch wieder eine in der sie erwachte und nicht wieder einschlafen konnte. Am Wochenende schaffte sie es wenigstens noch ihren Schlaf tagsüber teilweise nachzuholen, doch unter der Woche hatte sie das Gefühl, der fehlende Schlaf bäumte sich von Tag zu Tag bedrohlicher über ihr auf. So lange, bis alles irgendwann wie eine Flutwelle an dunkler Materie über sie herein stürzen würde. Doch auch so konnte man ihren fehlenden Schlaf irgendwann anhand der tiefen Augenringe ausmachen.

Sie nahm einen kräftigen Schluck ihres Kaffees, der sich mittlerweile etwas abgekühlt hatte. Mit großen Schritten ging sie voran. Wie jeden Morgen, so kam sie auch diesmal an der alten Apotheke vorbei. Heute gab es ein neu ausgestattetes Schaufenster, in dem für gesunden Schlaf geworben wurde. Scheinbar schien es gerade Trend zu sein nicht gut schlafen zu können, dachte sie. Sie blieb stehen und betrachte die Auslage. Baldriantropfen, Kapseln und verschiedene Tees lagen dort. Sie überlegte kurz und entschloss sich dann etwas davon zu kaufen. Vielleicht konnten ihr diese Dinge ja helfen wenigstens ein klein wenig besser schlafen zu können.

Sie entschloss sich für die Tropfen. Tropfen waren ihr irgendwie vertrauter als irgendwelche Kapseln. Als Kind hatte ihre Mutter ihr immer Hustentropfen auf einem Löffel voll Zucker verabreicht. Obwohl es Medizin war und Kinder bekanntlich Medizin nicht mochten, hatte sie die Hustentropfen gerne zu sich genommen. Sie musste lächeln als sie daran dachte. Sie schaute auf die Uhr. Schon kurz nach 9. Und da war sie wieder, diese Hektik.

Ihr Büro befand sich in einem siebenstöckigen modernen Gebäude, das mit seiner Glasverzierung ein echter Hingucker war. Im Gebäude selber teilten sich die unterschiedlichsten Firmen die verschiedenen Stockwerke. Einige Finanzberater, eine kleine Filmvertriebsfirma, spezialisiert auf Erwachsenenunterhaltung, eine Kanzlei und ihre Marketingfirma mit Namen „think positiv“. Sie mochte das Ambiente in dem sie arbeiten konnte. Es wirkte angenehm und sogar beruhigend. Es war so gar nicht wie in manch anderen muffigen Büros, in denen der Raum keine eigene Persönlichkeit entwickelte, sondern einfach nur ein doofer Raum war.

Angekommen im Büro setzte sie sich vor Ihren Mac und lies ihn hochfahren. Sie hatte einmal im Internet über eine Theorie gelesen, welche die User von Apple- und Windowscomputern in Spielfilmen gegenüberstellte. Demzufolge sollten alle Guten mit Apple-Rechnern arbeiten, während die Bösewichte mit Windows vorliebnahmen. „24“ die TV-Serie war dafür eines der besten Beispiele. In ihr hatte der einzige CIA-Agent, der auch Dreck am Stecken hatte, einen Windows-Computer. Was wohl Bill Gates dazu sagen würde? Irgendwie fand sie diese These aber witzig, denn demnach war sie in ihrem Job ein gutes und zu Hause ein böses Mädchen. Ansonsten fand sie die Apple-Verehrung ziemlich doof und selbst das iPhone lies sie kalt. Ihre Kollegen waren da zum Teil anders. Doch Anna war das egal. Sie hatte es schon gar nicht nötig, bei Meetings demonstrativ mit ihren Technikgadgets herum zuspielen. Überhaupt fand sie es lächerlich, wenn erwachsene Männer beim Telefonieren so tun müssen, als ob das Gespräch so wichtig sei, dass es Gott und die ganze Welt mit verfolgen müsste. Sie hatte bei Männern manchmal das Gefühl, dass umso doller das Handy, um so lauter die Gespräche. Es gab aber auch noch die andere Sorte Mann, bei der das Handy so zum Lieblingsspielzeug avancierte und selbst eine bekloppte Sache wie das Starbucks App seinen Besitzer einen Ständer verpassen zu schien. Starbucks App… weil es ja so lebensnotwenig ist zu wissen, wo man den nächsten Starbucks für eine Kaffee-Infusion finden kann.

Obwohl sie nun schon die Hälfte ihres Kaffees getrunken hatte, lies die Wirkung aber dennoch irgendwie auf sich warten. Es war Donnerstag und in den letzten Nächten war sie jeweils 2-4 mal erwacht und konnte nicht wieder gut einschlafen. Der Schlaf danach war eher ein Horror, weil er nicht wirklich tief und erholsam war. Unter diesen Umständen konnte so eine Nacht ziemlich kurz für den „erholsamen“ Schlaf sein.

So lies die noch bestehende Müdigkeit Annas Lust auf Arbeit ziemlich gering ausfallen. Sie entschloss sich erst einmal Nachrichten im Internet zu lesen. Man muss ja schließlich wissen was in der Welt so passierte. Aber ein Blick in die Schlagzeilen war alles andere als erfreulich. Es war immer das Selbe. Politiker die lügen, betrügen und sich als Weltverbesserer aufspielten ohne wirklich etwas Wirkungsvolles zu bewegen und nur an ihr eigenes Profil dachten. Zensurpläne, Verbotspläne, Einschränkungen und Überwachungen. Terrorgefahr hier, Schweinegrippe dort. Sie fragte sich manchmal, wie sie überhaupt noch am Leben sein konnte, wo doch laut Medien schon seit Jahren hinter jeder Ecke ein Terrorist, oder eine neue Krankheit lauerte. Mit einem Kopfschütteln beendete sie ihren Webbrowser und gab sich ihren E-Mails hin. Es war wie jeden Morgen, erst einmal aus dem Standgas anrollen und dann Stück für Stück beschleunigen.

Ihr Kollege Ralph kam ins Büro und setzte sich an seinen Schreibtisch, der Ihr direkt gegenüber stand.

„Guten Morgen Lieblingskollegin“, trällerte er.
„Morgen Ralph“, erwiderte sie mit einem nicht gerade euphorischen Ton.
„Wieder schlecht geschlafen, Schätzelein?“
„Ja, kann man wohl so nennen“, antwortete sie.
„Du solltest Dir helfen lassen, das kann mit Dir so nicht weitergehen. Gefällt mir gar nicht wie Du Dich in letzter Zeit verändert hast. Irgendwas lässt Dich nicht zur Ruhe kommen! Das muss doch von irgendwo herkommen.“
„Ich weiß doch selber nicht“, sagte sie mit einem leicht genervten Ton.
„Seit diesem einen seltsamen Traum hab ich diese Schlafprobleme.“

Sie hatte Ralph von dem Traum erzählt und wie sie mit Panik erwacht war und wie seltsam sich alles anfühlte. Nur von dem Dorn in ihrer Hand hatte sie nichts erzählt. Denn es hörte sich einfach zu seltsam an.

„Vielleicht solltest Du Dich mal Akupunktieren lassen. Ein Freund hatte auch mal Schlafprobleme wegen so blöder Medikamente. Die Akupunktur brachte ihn wieder auf die Spur. Das Pieken wäre auch gar nicht so schlimm, meinte er.“
„hmmm..“ überlegte sie.
„Ich hab davon auch schon gehört. So einigen Leuten soll durch Akupunktur schon bei den verschiedensten Dingen geholfen worden sein. Ich denke, dass ist vielleicht wirklich gar keine so schlechte Idee.“
„Ich glaube auch. Du kannst nur gewinnen bei der Sache.“ stimmte Ralph ihr zu.
„Pass auf, ich besorge die Adresse von dem Akupunkteur. Werd meinem Freund gleich mal ne Mail schreiben.“ Im nächsten Augenblick hörte Anna wie Ralph schon fleißig in die Tasten haute. Sie lächelte. Ralph war ein echter Schatz. Schon seit dem ersten Tag vor 2 Jahren, als er ihr Kollege wurde, hatten die beiden sich gut verstanden und das obwohl sie nicht unterschiedlicher sein konnten.

Ralph gehörte zu der Generation von Mittzwanziger bei denen D&G bekannter war als eine der Volksparteien. Er gab es gerne zu, dass er zu den Markenbesessenen gehörte und sein Äußeres gerne gut gestylt präsentierte. Worüber sich Anna allerdings nicht ganz im Klaren war, dass war seine sexuelle Orientierung. Irgendwie hatte sie ihn in all den Jahre nie wirklich danach gefragt. Vielleicht auch, weil sie es irgendwie interessant fand, genau diese Frage als unbeantwortetes Geheimnis im Raum stehen zu haben. Er sah zu gut aus und pflegte sich zu sehr, als dass er ein reiner Hetero hätte sein können. Auf der anderen Seite hatte sich aber in den letzten Jahren das Bild der Männer stark gewandelt. Sie konnte es selbst gar nicht so genau sagen, woran man heutzutage manchen Hetero von einem Schwulen unterscheiden könnte. Metrosexuell, ein Wort was sie eh schon seltsam skurril fand. Noch skurriler fand sie die meisten Männer, die sich dahinter verbargen.

Ralph war zum Glück nicht einer von denen, die sich bis zum Puppenhaften schminkten. Er war auf alle Fälle mehr hetero als diese anderen Typen. Doch wie viel hetero, das konnte sie dennoch nicht genau sagen. Vielleicht stand er ja auch auf Beides. Passen würde es zu ihm und mit Frauen hatte er genug Kontakt, das wusste sie. Die Idee mit der Akupunktur fand sie jedenfalls Klasse. Sie war für solche Sachen offen und viel zugänglicher als zur Schulmedizin. Naturheilmittel, die aus Jahrtausenden überliefert wurden, fand sie irgendwie ansprechender. Wenn selbst die alten Ägypter schon wussten, dass Knoblauch und Zwiebeln antiseptische Eigenschaften hatten und so schon Seuchen verhinderten, dann kann solch überliefertes Wissen nicht verkehrt sein, dachte sie.

Prolog

 
Letzte Änderung: 18.08.2010 - 19:36:21